Ich möchte sehr darum bitten, sich mit den Vorgaben für das Zentralabitur 2022 und 2023 zu beschäftigen, die ihr unter: https://www.standardsicherung.schulministerium.nrw.de/cms/zentralabitur-gost/faecher/fach.php?fach=12 finden könnt.
Es ist erstaunlich, wie sehr man wieder auf die Reproduktion Wert legt, wobei das Denken bzw. Nachdenken wohl weniger Beachtung findet!
Ein intelligenter Mensch fragt: WARUM? CUI BONO? WEM nützt das?
Thema: Nation und Nationalismus
Nation und Nationalismus
im Hinblick auf die Anforderungen des Zentralabiturs sind diese Begriffe von besonderer Bedeutung und ich möchte dazu einige einfache Bemerkungen anfügen, die vielleicht anregen, darüber nachzudenken. Warum? Die Begriffe sind in der deutschen Geschichtschreibung vor allem deshalb wichtig, weil es die deutsche Nation bzw. den deutschen Nationalstaat erst sehr spät im Vergleich zu anderen führenden Industriestaaten (wie Frankreich, Großbritannien und den USA) gegeben hat. Dieser Nationalsstaat wurde erst 1871 - durch eine "Revolution von oben" - geschaffen, die Bürger hatten daran nur geringen oder gar keinen Anteil. Ihnen wurde der Nationalstaat - sozusagen - durch Bismarck geschenkt, was z:t. erklärt, warum viele liberale Bürger Bismarck verehrt haben, man siehe die ungezählten Denkmäler etc.. Dies führt dann zur Charakterisierung der Herrschaft Bismarcks in Anlehnung an Max Weber als "charismatische Herrschaft". siehe: http://www.textlog.de/7415.html
Der Begriff "Nation" hat im Laufe der Zeit einen Bedeutungswandel vollzogen. Ursprünglich bedeutet er die Herkunft, was man z.B. in den Immatrikulationsverzeichnissen der mittelalterlichen Universitäten sehen kann. Dort heißt es z.B. "Henricus nationem Herfordensis" also Heinrich aus Herford. Im Verlauf der französischen Revolution ändert sich nun die Bedeutung, Nation beschreibt da eher die Gesamtheit der Bürger, die die gleichen Vorstellungen und Ideen teilen: "Liberte, Egalite, Fraternite". Man kann sagen, dass sich dort ein "subjektiver" Nationsbegriff durchsetzt, der auf eine freie Willensentscheidung der Bürger zu ihrer Nation abhebt. Ähnliches finden wir auch in den USA oder GB. Unter den Bedingungen der französischen Hegemonie in Europa und dem "Deutschen Reich" (bis 1806) entwickelt sich eher ein "objektiver" Nationsbegriff (vertreten ua. durch Herder und Fichte u.a. ), der auf - quasi objektive - Kriterien wie Sprache, Herkunft (man kann sagen genetischer Abstammung, jedoch ohne dass Fichte die Genetik schon kannte :-) ), Kultur und Geschichte abhebt. Im deutschen Staatsbürgerrecht galt bis zum Jahr 2000 allein das "ius sanguinis" = Abstammungsprinzip - man staune und wundere sich! Man spricht vom Nationalismus als einer Integrationsideologie. Was heißt das? Dies soll bedeuten, dass die Menschen diesem Gedanken andere Aspekte und vor allem auch Unterschiede(sozial und ökonomisch) unterordnen. Wie man sich das vorstellen darf? Man denke z.B. an die Fans in der Südkurve des Dortmunder Fußballstadions, die vereint und verbunden sind in ihrer Zuwendung zu ihrem Verein - der Verein dient dann als Integrationsmittel. Alle sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede treten in den Hintergrund, denn dort stehen zum Beispiel u.a. neben Hartz IV-Empfängern auch Ärzte, Lehrer etc., die alle der Gedanke an den Verein eint - alle diese werden eingeschlossen (Inklusion) Andere Vorstellungen werden dabei ausgeschlossen: wer das mal probieren möchte, sollte sich in den Dortmunder Fanblock stellen und eine Fahne von Schalke 04 schwenken (es kann auch eine sehr kleine sein). Das Resulät läßt sich erahnen. Das nennt man Exklusion und ist einer Integrationsideologie immanent (gehört dazu). Die Entscheidung für seinen Verein könnte man auch als subjektiven Willensakt deuten, was dem westlichen (modernen) Nationbegriff entspricht. Es bedeutet, die Menschen bewerten einen bestimmenten Aspekt (ihren Verein, ihre Nation) besonders hoch, andere Aspekte treten dem gegenüber in den Hintergrund.
5 ZAls Einstieg - auch wenn der Text sprachlich sehr komplex ist - kann Johann Gottlieb Fichte "Reden an die deutsche Nation" dienen, der auf den OBJEKTIVEN Nationsbegriff abhebt. Als Textauszug findet man diese Quelle in vielen Schulbüchern. Den gesamten Text findet ihr u.a. bei: http://www.zeno.org/Philosophie/M/Fichte,+Johann+Gottlieb/Reden+an+die+deutsche+Nation
Eine aus meiner Sicht tolle Analyse der Gedanken Fichtes (in Bezug auf den Textauszug als Quelle in den Schulbüchern) hat meine Schülerin Annika Lange erstellt (wer Verbesserungen hat, der ist herzlich eingeladen, diese zu kommunizieren):
Die Eigenthümlichkeit der Deutschen
„Die Entstehung des deutschen Nationalgefühls“ stammt aus Johann Gottlieb Fichtes „Reden an die deutsche Nation“. Diese Rede - eine Vorlesung vor Studenten und Professoren, also gebildeten Bürgern - hat Fichte 1807/1808 in Berlin zurZeit der französischen Besatzung mit dem Ziel gehalten, ein Nationalgefühlunter den Deutschen zu wecken und einen deutschen Nationalstaat zu gründen, um sich von der französischen Vorherrschaft (Hegemonie) zu lösen. Zu Beginn seiner Rede stellt Fichte den Unterschied zwischen den Deutschen und den übrigen Völkern, bei denen er insbesondere die Franzosen focussiert (siehe auch historischer Kontext), im Hinblick auf die Sprache heraus. Die deutsche Sprache sei die Ursprache, die sich aus dem wirklichen Leben weiterentwickelt habe, wohingegen die übrigen Völker eine fremde Sprache angenommen hätten, die letzten Endes „ertötet worden“ sei. Darin bestehe schon der grundsätzliche Unterschied zwischen den Deutschen und den anderen germanischen Völkern. Im weiteren Verlauf seiner Rede beruft sich Fichte auf seine Untersuchungen und stellt heraus, dass nur der Deutsche ein Volk habe und darauf auch zählen könne. Außerdem sei auch er nur in der Lage, seine Nation zu lieben. Einen Beweis für diese Aussage tritt Fichte nicht an, sondern erklärt zunächst den Begriff des Volkes. Es handele sich dabei um Menschen, die in einer Gesellschaft derart zusammenleben, dass sie sich nur untereinander fortpflanzen und auch geistig bereichern. Fichte spricht in diesem Zusammenhang sogar von der Entwicklung des Göttlichen aus dem Menschen.Dann greift er den Wunsch des Menschen nach Unsterblichkeit auf und erklärt, der Glaube des Menschen an die ewige Fortdauer seiner Wirksamkeit gründe sich auf die Hoffnung der ewigen Fortdauer des eigenen Volkes, aus dem der Mensch selbsthervorgegangen sei. Der Mensch selbst sei zwar nicht unsterblich, aber durch sein Volk erlange er die Ewigkeit seines Daseins. Diese Ewigkeit könne man jedoch nur erreichen, wenn das Volk nicht durch fremde Einflüsse verdorben werde, sondern die Eigentümlichkeit erhalten bleibe. In dieser Eigentümlichkeit liege die Macht, sein kurzes Leben zu fortdauerndem Leben auszudehnen. Es handelt sich hierbei um eine Wechselbeziehung zwischen dem Menschen und seinem Volk: Der Mensch hält das Volk frei von den Einflüssen fremder Völker und erlangt dadurch in einem gewissen Sinn die Unsterblichkeit seiner Person durchden Fortbestand seines Volkes. Fichte nutzt dabei den schon immer dagewesenen Drang des Menschen nach Unsterblichkeit aus, um das Wir-Gefühl zu verstärken,aus dem ein Nationalgefühl resultiert. Sein Ziel ist es, dass die Deutschen sich bewusst von den übrigen Völkern, insbesondere von den Franzosen abwenden,um einen eigenen Nationalstaat zu gründen. Im Gegenzug verspricht er ihnen die eigene, wenn auch nur geistige Unsterblichkeit. Die Gemeinsamkeit diesesGlaubens sei ein Band, mit dem der Mensch mit seiner Nation und mit dem ganzenMenschengeschlecht verbunden sei. Biszu diesem Punkt stellt Fichte das Verhältnis zwischen dem Menschen und seinemVolk noch eher rational dar, als ein gegenseitiges Nehmen und Geben. Im weiteren Verlauf seiner Rede wird Fichte jedoch emotionaler und spricht von derLiebe des Menschen zu seinem Volk. Worte wie achtend, vertrauend, freuend und ehrend vermitteln einen Eindruck von starken Gefühlen des Menschen für sein Volk. Der Mensch nutzt das Volk nicht nur, um sich unsterblich zu machen und gewährleistet ihm im Gegenzug dessen Reinheit, sondern es kommen Gefühle hinzu,selbst von Aufopferung ist die Rede.Zum Ende der Rede stellt Fichte sogar die Behauptung auf, das Leben habe für den einzelnen Menschen gar keinen wirklichen Wert. Ziel des Menschen sei allein dieDauerhaftigkeit, die alleine durch die Dauerhaftigkeit seiner Nation zuerlangen sei. Die Nation steht jetzt über allem, auch über dem Menschen, sodass Fichte von den Deutschen erwartet, dass sie zugunsten ihrer Nation sogar bereit seien zu sterben. Dieser Weg erscheint der einzige zu sein, um die Unsterblichkeitzu erlangen.Fichteverlagert im Verlauf seiner Rede den Schwerpunkt vom Menschen auf die Nation. Er spricht die Menschen mit ihrem Bedürfnis nach Unsterblichkeit an und zeigt ihnen den Weg dorthin über das Volk auf. Damit zieht er die Zuhörer in seinen Bann. Von der rationalen Ebene wechselt er dann auf die Gefühlsebene, um anschließend den Zuhörern klarzumachen, dass nicht das eigene Leben einen wirklichen Wert hat, sondern das Volk über allem zu stehen habe. Daraus zieht er am Ende der Rede die Schlussfolgerung, der Mensch müsse bereit sein, sein Leben für seine Nation zu opfern. Fichte manipuliert seine Zuhörer, indem er den Wert ihres Lebens, den er anfangs in das Zentrum seiner Rede stellt, immer mehr minimiert zugunsten des Volkes. Damit beabsichtigt er, das Nationalgefühl überdie Einzelinteressen der Menschen zu stellen. Nur wenn der Mensch zum Verzicht auf seine eigenen Interessen bereit sei, kann er zum Wohle des Volkes ausgenutzt und zu dessen Werkzeug gemacht werden. Ziel Fichtes ist es somit, die Menschen von der Notwendigkeit des Kampfes gegen fremde Völker zu überzeugen, auch wenn sie dabei ihr eigenes Leben opfern. Außerdem versucht er die Willensfreiheit des Einzelnen zu untergraben, um dem Staat die Möglichkeitzu geben, die Menschen so zu formen, dass sie der Nation dienen. Dafür ist es erforderlich, dass der Mensch nicht mehr sich selbst wichtig nimmt, sondern das Volk im Zentrum seines Denkens und Handelns steht.
Die historische Entwicklung dieses Kontextes bis 1815, man kann sagen der historische Hintergrund, wird im Folgenden kurz skizziert:
- Franz.Revolution findet unter Schriftstellern, Intellektuellen, Geistlichen und Professoren ein lebhaftes Echo - Missernten und feudaleUnterdrückung führen zeitgleich zu Unruhen - Angesichts des Terrors wenden sich die deutschen Sympathisanten von der Revolution jedoch ab und bevorzugen den Weg der Reformen - Es fehlt auch der Träger der Revolution in Deutschland – die breite wohlhabende Schicht im Bürgertum, aber auch die Zersplitterung der deutschen Staaten ist ein Problem (314 unabhängigeStaaten + unzählige weitere kleinere Reichsstände und Reichsritterschaften um 1800) siehe beispielsweise: http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Territorien_im_Heiligen_R%C3%B6mischen_Reich
Zum Thema der französischen Hegemonie und Rolle von Napoleon finden wir in den Schulbüchern sehr oft überholte Vorstellungen. Insbesondere wird Napoleon sehr häufig die Rolle eines machtgierigen Kriegstreibers zugeschrieben, was allerdings nach aktuelleren Forschungen nicht zutrifft:
- 1801 Friedenvon Luneville – D. muss linksrheinische Gebiete an Frankreich abtreten, als Entschädigung bekommen die großen deutschen Staaten Territorien der in weltlichen Besitzüberführten geistlichen Herrschaften (1803) 1803 Reichsdeputationshauptschluss http://de.wikipedia.org/wiki/Reichsdeputationshauptschluss 1804 code civil – modernisiertes Recht – Aspekte aus der französischen Revolution sollen links des Rheins und in Westfalen verwirklicht werden Þ Gleichheit vor dem Gesetz Þ Freiheit des Individuums und des Gewissens Þ Aufhebungdes Zunftzwanges Þ Trennung von Staat und Kirche Þ Schutz des Eigentums und Kaufrecht Þ Aufhebungvon ständischen Privilegien und feudalen Ansprüchen
1806 Das Ende des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" – Die Gründung des Rheinbundes – Kaiser Franz II legt die Kaiserkrone nieder - 1806 Niederlage Preußens in der Schlacht von Jena und Auerstedt – Preußen verliert im Frieden von Tilsit 1807 über die Hälfte seines Landes > desolate Finanzlage > Kriegsentschädigungen mussten an Frankreich gezahlt werden: Das führt zu den preußischen Reformen unter der Leitung u.a. von: Karl Freiherr Karl von Stein, August von Hardenberg, v. Scharnhorst, v. Gneisenau, Wilhelm v. Humboldt Ziele: Revolution vermeiden, Stimmung verbessern, System beibehalten, die Menschen bzw. Untertanen sollen sich vom Untertan zum Bürger entwickeln, ABER nach H.U.Wehler u.a. handelt es sich hier insbesondere um eine DEFENSIVE MODERNISIERUNG (ein wichtiges Instrument der Machteliten - siehe auch Das deutsche Kaiserreich bis 1914 ), da es den Reformern vor allem darum geht, eine Revolution von unten in Preußen zu verhindern und die Monarchie zu sichern. Krise des Staates > Reformen
Nach einer Sattel- (http://de.wikipedia.org/wiki/Sattelzeit ) oder Inkubationszeit (Herder etc. – vgl. DTV Atlas zur Weltgeschichte, Bd.II, S.310) verstärkt sich unter der französischen oder napoleonischen Hegemonie der Gedanke einer deutschen Nation (siehe u.a.1807/08 Gottlieb Fichte„Reden an deutsche Nation"(Text u.a. bei: http://gutenberg.spiegel.de/buch/411/2 ) zu Fichte vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Gottlieb_Fichte Þ Deutschtum =Höhepunkt der Menschheit Þ Franzosenhass(siehe auch E.M. Arndt) - Probleme: Preußen – Österreich (Grenzenund Verfassung) - Es gibt nur dann Freiheit, wenn die Verfassung und Justiz unabhängig sind - 1813 Befreiungskriege – Völkerschlacht bei Leipzig und Auflösung des Rheinbundes http://de.wikipedia.org/wiki/Befreiungskriege - 1814/1815WIENER KONGRESS unter der Leitung Metternichs (Ziele: Restauration,Legitimität, Solidarität > Heilige Allianz) http://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Kongress
Einen sehr schönen Einblicksehr zu empfehlen: in die Zeit nach 1815 in Preußen bietet folgender Beitrag von WDR5 Zeitzeichen. Allgemein sind diese kurzen Features sehr zu empfehlen!
Eine der diskutablen Grundfragen zur Revolution 1848/49 wäre beispielsweise:
Warum scheiterte die Revolution? Hier könnte mau.a. auf die divergenten Forderungen der gesellschaftlichen Gruppen/Schichten bzw. Klassen eingehen, die auf der einen Seite eher soziale Verbesserungen fordern (Unterschichten= Bauern und Arbeiter) und auf der anderen Seite werden politische Partizipationsansprüche nur vom Bürgertum proklamiert, das in seiner Mehrheit allerdings die Beteiligung der unteren Schichten an der politischen Herrschaft ausschließen möchte. Auch die Problematik der unterschiedlichen politischen Vorstellungen zwischen Republikanern (z.B. schon 1832 Siebenpfeiffer u.a., Hecker, Struve, Blum etc.) und den Anhängern einer konstitutionellen Monarchie, die sich nachher durchsetzen, wäre eine historisch kritische Untersuchung Wert.
Gern möchte ich auf einige Mindmaps hinweisen, die mir in diesem Zusammenhang hilfreich erscheinen:
Die Rolle der Liberalen im preußischen Abgeordnetenhaus im Heeres- bzw. Verfassungskonflikt mit Wilhelm I. ab 1859.
Der Aufstieg Otto von Bismarcks zum preußischen Ministerpräsidenten am 22.09. 1862 und sein Ansatz zur Lösung des Konfliktes zwischen Parlament und Krone = Lückentheorie = "Verfassungsbruch" bzw. "Staatsstreich". http://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCckentheorie_%28Politik%29
Eine exemplarische Analyse seiner programmatischen "Blut und Eisen Rede", die er am 30.September 1862 vor der Budgetkommission des Abgeordnetenhauses hielt, bietet der folgende Text von Annika Lange (Besselgymnasium Minden):
Exemplarische Textanalyse „Blut- und Eisen-Erklärung“ Bismarcks vom
30.09.1862
Bei der „Blut- und Eisen-Erklärung“ handelt es sich um eine
Rede, die Bismarck am 30. September 1862 vor der Budgetkommission des
preußischen Abgeordnetenhauses hielt. Historisch einzuordnen ist die Rede in
einer Zeit, in der die Heeresreform zentrales Thema war. Die Liberalen
verhielten sich jedoch ablehnend. Im März 1862 waren wegen dieses Konflikts das
Parlament aufgelöst und eine neue Regierung gebildet worden. Am 22.9.1862 wurde
Bismarck von Wilhelm I. empfangen, versprach die Durchsetzung der Heeresreform
und wurde daher zum Ministerpräsidenten und Außenminister ernannt. Auslöser für
die Rede war der Streit zwischen dem Abgeordnetenhaus und der Regierung über
die Heeresreform, den Bismarck abzuwenden versuchte. Um die Mitwirkung und
Verständigung des Abgeordnetenhauses zu gewinnen, hielt Bismarck die als „Blut-
und Eisen-Erklärung“ in die Geschichte eingegangene Rede.
Der Text ist im Konjunktiv geschrieben. Damit wird deutlich,
dass es sich um ein Protokoll der Rede handelt, da der Verfasser nur die Worte
Bismarcks wiedergibt.
Gleich im ersten Satz wird herausgestellt, dass es sich bei
dem Heereskonflikt um einen Konflikt von noch größerer Bedeutung handelt,
nämlich um die Entscheidung zwischen königlichem Regiment und
Parlamentsherrschaft. Bismarck befürwortet das königliche Regiment, indem er
dem König über die Verfassung sogar noch hinausgehende Rechte zugesteht. Diese
Aussage entspricht auch dem Eindruck, den er Wilhelm I. wenige Tage zuvor
vermittelt hat, als er sich als treuer Gefolgsmann präsentiert hat. Über alles
stellt er jedoch das Wohl des Landes, da er die Hoffnung hat, dass der Ausgang
der Krise zum Wohle des Landes ausschlagen wird. Entweder werde sich der
Konflikt auf verfassungsmäßigem Wege erledigen oder man müsse die Verfassung
dem Konflikt anpassen, um ihn zu lösen. An diesen Worten erkennt man die
politische Grundeinstellung Bismarcks, für den vor allem die Interessen des
Staates zählen. In diesem Teil der Rede hat man noch den Eindruck, als sehe
Bismarck eine Möglichkeit, die bestehenden Konflikte ohne Gewalt zu lösen.
Im nächsten Abschnitt der Rede beschwört Bismarck die
Einigkeit in der Politik, indem er von „wir“ spricht. Er hält das Volk für
„heißblütig“, d.h. er traut ihm zu, für ein Ziel mit aller Kraft zu kämpfen.
Wie dieser Kampf aussehen soll, wird nur angedeutet, indem Bismarck von
„Rüstung“ spricht, die man seiner Meinung nach nicht nur tragen, sondern auch
benutzen sollte. Außerdem stellt er die Preußens Macht über dessen
Liberalismus. Er hält die derzeitige Ausgangsposition Preußens für ungünstig,
da dessen Landesgrenzen nach den Wiener Verträgen nicht optimal für ein
gesundes Staatsleben seien. Die Lösung präsentiert er gleich anschließend, indem
er darauf hinweist, dass die Politik nicht durch Reden und Mehrheitsbeschlüsse
gemacht werde, sondern durch Eisen und Blut. Hier schafft er eine Assoziation zu
einem Gedicht von Max von Schenkendorf, der 1813 als Freiwilliger an den
Befreiungskriegen teilnahm, in dem es heißt:
„Denn nur Eisen kann uns retten, uns erlösen kann nur Blut
von der Sünde schweren Ketten, von des Bösen Übermut.“
Mit dieser Assoziation vermittelt Bismarck den Eindruck, als
seien die politischen Probleme Preußens nur durch Gewalt zu lösen. Da Bismarck
ohnehin als Gewaltpolitiker gilt, könnte man vermuten, dass er beabsichtigt,
sich in außenpolitische Abenteuer zu stürzen.
Im letzten Absatz der Rede droht Bismarck der
Budgetkommission des Abgeordnetenhauses für den Fall, dass sie die Mittel für
die Heeresreform nicht bewilligen, „tabula rasa“ an. Diese Redewendung
beschreibt die Absicht, mit einer Sache abzuschließen und einen Neuanfang zu
wagen. Wenn man den vorhergehenden Absatzes der Rede berücksichtigt, kann man
davon ausgehen, dass Bismarck beabsichtigt, die Reformen mit Gewalt
durchzusetzen, da er in der Verfassung keinen Ausweg sieht. Auch die
lateinische Redewendung „summum ius, summa iniura“, was übersetzt „Höchstes
Recht, größtes Unrecht“ heißt, sagt aus, dass auf die Spitze getriebenes Recht
schwerstes Unrecht sein kann. Bismarck warnt die Abgeordneten davor, mit ihrer
Ablehnung der Reformen unrecht zu handeln. Am Ende des Textauszugs drückt er
seine Hoffnung aus, dass es noch die Möglichkeit einer Verständigung gibt. An
dieser Stelle spricht er bildhaft von einer Brücke der Verständigung. Sie zeigt
seine Absicht, den bestehenden Konflikt gewaltfrei zu lösen, denn seine Rede war
aus seiner Sicht als Bündnisangebot an die liberale Bewegung gedacht. Er wollte
die Opposition nicht durch Drohungen, sondern durch Ausgleichsbemühungen
neutralisieren. Da er in der Öffentlichkeit ohnehin als extremer Reaktionär und
Gewaltpolitiker galt, war der mittlere Teil der Rede, in dem es um Blut und
Eisen ging, sehr missverständlich und wurde auch von den Abgeordneten und
anschließend der Presse nicht so verstanden, wie es von ihm gemeint war.
Folge dieser Rede, mit der Bismarck nicht das von ihm angestrebte
Ziel erreichte und dass er es aufgab, sich um eine Einigung mit den Liberalen
zu bemühen und sie stattdessen bekämpfte.
Eine alternative Interpretation dieses Textes von Zora Gieseking (Besselgymnasium Minden):
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um eine Mitschrift
von Otto von Bismarcks
„Blut –und -Eisen“ – Erklärung von 1862.
Unmittelbar vorher wurde Bismarck zum Ministerpräsident von
Preußen gewählt. Im ersten Teil (Z. 6-13) gibt der Schreiber Bismarcks Meinung
zu den aktuellen Zuständen wieder. Er sagt, der bestehende Konflikt bestehe
darin, die Grenze zwischen der Krongewalt und der Parlamentgewalt zu finden.
Bismarck geht sehr optimistisch vor, (vgl. Z. 7-8) „Er gebe die Hoffnung nicht
auf, daß die Krisis, wie sie auch enden würde, zum Wohle des Landes ausschlagen
werde.“ Hiermit macht er seinen Zuhörern Mut und gibt ihnen Hoffnung, denn er
möchte sie für sich einnehmen.
Außerdem plädiert er für eine bessere preußische Verfassung.
Er bedient sich hier einer Metapher (vgl. Z. 10) „..., die Verfassung besser
dem preußischen Leibe anzupassen.“ , um seinen Wunsch deutlicher zu machen.
Otto von Bismarck ist im ersten Teil seiner Rede noch
negativ gegenüber Gewalt eingestellt, er spricht von gegenseitiger Schonung.
Der zweite Abschnitt von Zeile 13-21 ist deutlich aggressiver, Bismarck spricht
vom „heißen Blut“ und von den Rüstungen, die nun nutzbar gemacht werden sollen.
Er appelliert an den Zusammenhalt Preußens.
Er spricht auf die Vergangenheit an, in der es schon öfter verpasst wurde,
etwas zu tun, um die Lage zu verbessern.
Desweiteren spricht Bismarck die Grenzen Preußens an, die nach dem Wiener
Kongress kein gutes, gesundes Staatsleben zulassen würden. Nach dem Wiener
Kongress 1815 standen Preußen viele Gebiete im Westen zu und der nördliche Teil
Sachsens, sowie im Osten Posen und Danzig. Preußen verlor allerdings Gebiete
aus der dritten Polnischen Teilung.
Durch die Teilung des Staatsgebietes war Preußen gezwungen,
in Deutschland hineinzuwachsen.
In Zeile 19-21 verweist Bismarck noch einmal darauf, dass er sich ein früheres
Handeln gewünscht hätte. „nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die
großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849
gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“
Bismarck macht hier deutlich, dass er sowohl mit dem Verlauf, als auch mit dem
Ende der Revolution 1849 nicht zufrieden ist. Mit den ausdrucksstarken Worten
Blut und Eisen betont Otto von Bismarck seine Gewaltbereitschaft. Er hat aus
der gescheiterten Revolution von 1848/1849 gelernt., dass es so nicht ging,
etwas zu erreichen.
Dass er etwas erreichen kann, wusste Otto von
Bismarck.
Zur gegenwärtigen Zeit stand er mit König Wilhelm 1. den Liberalen im Verfassungskonflikt gegenüber.
Im dritten Absatz (Z.22-26) sagt er der Budgetkommission,
dass Interpretation gegen Interpretation stehe. Wenn also kein Budget zustande
kommt, „dann sei tabula rasa“.
Hiermit droht Bismarck den Leuten. Er meint, wenn kein Budget zustande kommt,
dann solle man komplett von vorne beginnen und Ordnung schaffen.
Abschließend lässt sich sagen, dass Bismarck bei seiner Rede auf das Gedicht
„Das eiserne Kreuz“ von dem Kriegsfreiwilligen Max von Schenkendorf
zurückgreift. „Denn
nur Eisen kann uns retten,
Uns erlösen kann nur Blut
von der Sünde schweren Ketten,
Von des Bösen Übermut“ Er
kündigt hiermit eine aktivistische Außenpolitik an.